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365 Tage Kanada - Erfahrungsbericht von Jenny
Ein Neustart
Als ich den deutschen Boden damals verlassen habe, wusste ich, dass eine interessante Zeit vor mir liegt und ich wahrscheinlich so einiges erleben und ich anschließend die Welt vielleicht mit etwas anderen Augen betrachten werde, bevor ich wieder heim komme. 365 Tage, sieben Provinzen, zwei Weltmeere, 70° C Temperaturunterschied, so einige Bären, Elche, Steinböcke, Schafe, Robben, Wale, Squirrels, Adler und andere Tier- und Vogelarten, sechs verschiedene Jobs, drei volle Reisetagebücher, 21 Blogeinträge, drei Inlandsflügen, 6 kanadische Flughäfen, 184 Geocache, unzählige Wanderungen, die zweimalige Sichtung der Nordlichter, tausende Fotos und vor allem eine Menge Begegnungen mit unfassbar lieben Menschen später, denke ich an genau diesen Gedanken und gebe zu, dass es unvergessliche 12 Monate waren, in denen ich mich sicher etwas verändert habe.
Nach dem Abitur sofort zu studieren kam für mich nicht in Frage und durch meine beste Freundin bin ich auf das Konzept des Work and Travel aufmerksam geworden. Dass ich nach Kanada wollte, stand ziemlich schnell fest, da ich zuvor schon für eine kürzere Zeit das Land besucht hatte und ich neugierig auf mehr war.
Immer Unterwegs – der „Travel“-Teil
Natürlich kann man auch in einem Jahr das riesige Land komplett bereisen und muss sich so entscheiden, wo genau man überhaupt seine Zeit verbringen will. Dennoch bin ich ein Freund davon geworden, verschiedene Orte zu erkunden. Das brachte zwar den Nachteil, dass man sich überall etwas komplett Neues aufbauen muss, nachdem man gerade etwas Bestehendes verlassen hat. Allerding bekommt man damit auch die Chance verschiedene landschaftliche Eindrücke zu bekommen, sich in den unterschiedlichsten Jobs auszuprobieren und eine Menge einzigartiger Leute kennenzulernen.
So ging es im Sommer 2014 erst einmal nach Calgary, wo das alljährliche beeindruckende Rodeofestival Stampede stattfindet. Von dort aus erkundete ich die Provinz Alberta. Edmonton empfand ich persönlich als eher unspektakulär. Dafür begeisterten mich die Rocky Mountains insbesondere die Gegend um Jasper und Lake Louise umso mehr, da die Wandermöglichkeiten in den Bergen nahezu unbegrenzt sind. Auch der vergleichsweise unbekannte Süden der Provinz rund um Waterton hat eine unglaublich schöne Landschaft und wenn man schon in Alberta unterwegs ist, sollte man sich auch die Badlands, das einstige Reich der Dinosaurier, in Richtung Sasketchewan nicht entgehen lassen. Da ich eine ganze Weile in Calgary blieb, machte ich von da aus immer wieder Ausflüge in alle Richtungen und konnte die Natur zu allen Jahreszeiten bewundern. Somit ist die Stadt sicher eine gute Ausgangslage für eine längere Verweildauer. Ein besonderes Highlight für mich dort war Halloween, das in Kanada dreimal wichtiger genommen wird als zu Hause und ich so einen sehr außergewöhnlichen und elektrisierenden Abend erlebte. Danach dauerte es nicht mehr lange und der Winter stand schon vor der Tür. Es dauerte eine Weile um sich an die durchschnittlichen
-25°C zu gewöhnen, aber es hat doch etwas Einzigartiges für sich. Jedenfalls werde ich den Deutschen Winter in Zukunft als ziemlich harmlos betrachten. Der weiße Zauber, der die komplette Landschaft umhüllt hat etwas Faszinierendes und so habe ich auch einige Tage begeistert auf den Pisten der Rocky Mountains verbracht.
Zur Weihnachts- und Neujahrszeit flog ich in den Osten des Landes, wo ich mit meinen Eltern einen Städtetrip nach Montreal, Québec City und Ottawa machte. Zugegeben tat es mir richtig gut nach einem halben Jahr fast durchgängig zu arbeiten, meine Familie bei mir zu haben und einfach Urlaub machen zu können. Québec City ist hinreißend und eine der schönsten Städte, die ich je zu Gesicht bekommen habe. Gerade durch die ganzen Weihnachtslichter und -Dekorationen hat mich die europäische Stadt ganz und gar verzaubert.
Im neuen Jahr flog ich zurück nach Calgary und startete meinen Roadtrip nach British Columbia. Eine Woche lang habe ich die wunderbare Erfahrung gemacht bei einem philippinischen Paar wohnen und ihre unfassbar große Gastfreundschaft erleben zu dürfen. Anschließend ging es nach Vancouver Island. Das ist eine faszinierende Insel am Pazifik mit sehr eindrucksvollen Stränden, Steilküsten, Regenwäldern und Felsen. Im kleinen Örtchen Ucluelet auf der Westseite der Insel kam ich dazu, das Surfen auszuprobieren. Mein Monat dort war der wahrscheinlich intensivste des Jahres für mich.
Nach einer Weile des Reisens musste ich mir wieder eine Arbeit suchen und bin dafür bei Freunden aus meiner Heimat, die auf dieselbe Idee gekommen waren, ein Jahr im schönen Kanada zu verbringen, in Vancouver untergekommen. Vancouver ist eine einzigartige Stadt zwischen Meer, Stränden und Bergen mit so allerhand Sehenswertem. Ich kann mich kaum entscheiden, ob der Robson Square, die Harbourfront, die English Bay oder der Stanley Park meinem Lieblingsplätzchen dort entspricht.
Bevor ich nach Toronto flog, beendete ich meine Zeit in British Columbia mit einem Aufenthalt in Chilliwack und dem Okanagan Valley. Toronto als größte Stadt des Landes ist sehr touristisch und hat einfach ein gewisses Flair. Highlights für mich waren ein Ed Sheeran Konzert, ein Baseballspiel der Toronto Blue Jays und der „Edgewalk“ auf dem CN-Tower, bei dem man oberhalb der normalen Aussichtsplattform draußen an einem Seil gesichert über der Stadt um den Turm läuft.
Von Toronto ging es auf zum letzten Roadtrip meines Auslandsjahres. Zunächst ging es zu den überwältigenden Niagara Fällen und weiter in die Hauptstadt Ottawa, wo ich zwei Spiele der Fußballweltmeisterschaft der Frauen besuchte. In der Provinz Québec ging ich auf Whal Watching Tour und in New Brunswick erkundete ich die wunderschöne Landschaft, die durch den größten Gezeitenunterschied der Welt entstanden war. Besonders friedlich und erholsam empfand ich die kleine Inselprovinz Prince Edward Island mit ihren rot leuchtenden Stränden und Klippen und den vielen Kartoffelfeldern. Beendet habe ich meine Auslandsreise in Halifax, wo ich am Abreisetag noch die Parade zum offiziellen Nationalfeiertag, dem Canada Day, miterleben konnte.
Auf Arbeitssuche – der „Work“-Teil
So verging meine Zeit in Kanada also ziemlich schnell. Im Nachhinein betrachtet war ich ziemlich viel unterwegs. Dabei habe ich auch nicht gerade wenig gearbeitet und die verschiedensten Jobs ausprobiert, damit ich mir mein Dasein im Ausland auch finanzieren konnte.
Zunächst landete ich als Aushilfe in der Touristeninformation von Calgary im Erdgeschoss des großen Towers. Dadurch erhielt ich so einige Vorzüge, wie beispielsweise in einer riesigen Parade als Werbung für den Calgary Tower mitlaufen zu dürfen. Da ich dort nur eine Urlaubsvertretung war, musste ich mir allerdings einen anderen Job suchen und landete so in einer Vollzeitposition an der Rezeption eines Campingplatzes in der Nähe der Stadt.
Dies war sicher die Arbeitserfahrung, in der ich die meiste Verantwortung zugetragen bekommen habe, was mir hoffentlich auch in meinem späteren Berufsleben ein wenig helfen wird.
In Vancouver wurde ich nach ziemlich kurzer Zeit in einem Smoothie-Laden eingestellt, in dem ich und ein paar andere neue Mitarbeiter allerdings einige Auseinandersetzungen mit den langfristigen Kollegen hatten. Daher bin ich nicht sehr lange dort geblieben und suchte mir im Okanagan Valley einen neuen Job.
Das stellte sich als etwas schwieriger heraus, da mein Arbeitsvisum mittlerweile nur noch drei Monate gültig war. Ich versuchte mich auf einem Weinberg, gab aber relativ schnell auf und putze für Kost und Logier in einem Hostel, bis ich einen Vollzeitjob in einer Bäckerei bekam. Dies war wohl der Job, der mir in der gesamten Zeit am meisten Freude bereitete.
Einige neue „Zu Hause“
Sobald man einen festen Job gefunden hat, muss man sich natürlich auch darüber Gedanken machen, wie und wo man wohnen möchte, da öffentliche Verkehrsmittel zwar zur Verfügung stehen, aber längst nicht so ausgeprägt und verlässlich sind wie man es aus Deutschland gegebenenfalls gewohnt ist.
Da ich das erste Mal für eine längere Zeit von zu Hause weg war, hatte ich vor so viele verschiedene Wohnsituationen auszuprobieren wie möglich. Für den Anfang entschied ich mich bei Bekannten zu bleiben, die vor einer Weile aus Deutschland ausgewandert waren. Anschließend schloss ich mich einer WG von Freunden an, obwohl ich da nur mehr oder weniger auf der Couch blieb und scheinbar auch Bettwanzen und Mäuse mit uns eingezogen waren.
In der Stadt Victoria probierte ich zum ersten Mal das Couchsurfen aus und landete bei einer allein lebenden jungen Frau, die allerdings die meiste Zeit über arbeiten musste. So erkundete ich zwar die Gegend für mich selbst, war aber sehr dankbar für die kostenfreie Unterkunft. Auch das „Workaway“ stellte sich als eine tolle Erfahrung heraus. Für eine Unterkunft und Essen arbeitet man bzw. hilft man Gastgebern in verschiedenen Tätigkeitsbereichen aus. Den meisten wird dieses Konzept vielleicht eher durch das „Wwoofing“ bekannt sein.
Meine ersten Gastgeber war eine britische Einwandererfamilie mit zwei Mädchen im Alter von sieben und zwölf Jahren, die ich nachmittags beschäftigte. Da ich vorher wenig Erfahrung mit Kindern gemacht hatte, war dies ein völlig neues und sicherlich auch herausforderndes Erlebnis, aber die Mädchen sind mir in den zwei Wochen sehr ans Herz gewachsen. Meine zweite Erfahrung spielte sich auf einer Farm auf Vancouver Island ab. Ich bin in einer Gemeinschaft aufgenommen worden, die mit über dreißig Leuten zusammen leben und arbeiten und ein Café in der nächstgelegenen Stadt betreiben.
Ich stand die meiste Zeit in der Küche und habe viel über das Kochen und Backen gelernt, aber auch über das Leben in einer Community, über Freundschaft und Liebe und auch über Religion. Der Alltag in der Gemeinschaft ist ein komplett anderes als ich es bis zu diesem Zeitpunkt kannte und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich in meiner Zeit in Kanada verschiedene Lebensweisen kennengelernt habe.
Die Erkenntnis, dass es im Leben nicht nur darum geht immer gut abzuschließen, einen tollen Job zu finden und einen super Lebenslauf vorzuweisen, ist eine der wichtigsten, die ich mit auf den Weg bekommen habe.
Natürlich spielen auch Hostels als Unterkunft bei solch einer Reise eine große Rolle. In dem Zusammenhang möchte ich von Kelowna berichten. Diese Stadt ist nicht nur mit ihrem lässigen Flair durch die vielen Skateboarder, den extrem warmen Wetterbedingungen und dem riesigen See einzigartig, sondern auch durch das lokale Hostel. Alle Leute, die je dieses Hostel besucht haben, meinten, es wäre das schönste gewesen, in dem sie je genächtigt haben.
Diesen Satz würde ich sofort unterschreiben. Auch wenn man von Zeit zu Zeit den Duschknopf in der Hand hält und der Trockner nicht immer seine Aufgabe erfüllt, wird man sofort begeistert, sobald man das Haus betritt. Die Wände sind alle bunt gestrichen und mit unzähligen Reisezitaten gefüllt. Eigenartiger Weise hat das Hostel die Fähigkeit Menschen dort zu halten, obwohl sie nur auf der Durchreise sind. Ich beispielsweise hatte geplant eine Nacht dort zu verweilen und blieb letztendlich zwei volle Monate. Meiner Zimmergenossin und sehr gute Freundin ging es ähnlich, indem sie eine Unterkunft für eine Woche suchte und fast den kompletten Sommer dort verbrachte. Ich kenne Leute, die das Haus für vier bis zehn Monate als ein zu Hause gewählt haben, was eher untypisch für Hostels ist.
Ein Großteil der Backpacker findet dort Arbeit als Putzkraft und mit Aktivitäten wie Mottoabende unterscheidet es sich von den meisten anderen Unterkünften. In diesem Hostel habe ich die wunderbarsten Menschen kennengelernt und viele, die es einmal verlassen haben, sind ab und zu auch noch vorbeigekommen, um den Freunden hallo zu sagen oder einfach die Atmosphäre dort zu genießen.
Fürs nächste Mal
Auch wenn es eine unvorstellbar intensive und erlebnisreiche Zeit für mich in Kanada war, gibt es so einige Dinge die ich im Nachhinein anders machen würde und mit der Erfahrung durch 12 Monate im Land unterwegs gewesen zu sein nun besser einschätzen kann. Allen, die eine ähnliche Reise geplant haben, rate ich:
- Nehmt keinen Koffer mit. Umständlicher geht es nicht. Auch wenn ihr mit dem Auto unterwegs seid, kommt irgendwann der Punkt, an dem ihr dieses Ungetüm einfach nur noch los werden wollt. Es gibt zahlreiche Firmen, die qualitativ sehr gut Backpacks herstellen, mit denen man sich das Reisen dreimal erleichtern kann. Außerdem ist es eh sinnvoll, so wenig wie möglich mitzunehmen und sich wirklich nur auf das Nötigste zu beschränken.
- Kauft Euch ein Auto. In Kanada sind die Entfernungen zwischen den Orten ziemlich groß und das Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln kann mitunter umständlich werden.
- Sofern Ihr Euch ein Auto zulegt, hört Euch in den Backpacker-Foren um, ob jemand derzeit sein Auto loswerden möchte. Mein Auto war zugegebener Maßen viel zu teuer und ich habe mich an Versicherung totgezahlt. Allerdings kenne ich auch Leute, die für ihr Auto nur ein paar hundert Dollar auf den Tisch gelegt hatten und letztendlich damit liegen geblieben sind. Eine umfangreiche Recherche zum Thema Zustand, Preis und Zweck des Fahruntersatzes ist angesagt, um die richtige Entscheidung zu treffen.
- Zum Verkauf des Autos am Ende Eurer Reise ist dringend zu empfehlen, das Auto in derselben Provinz wieder zu verkaufen, in der es auch registriert ist. Anderenfalls ist eine sogenannte Out-of-Province-Inspection Pflicht, durch die Autos, die mehr als fünf Jahre alt sind, zumeist durchzufallen scheinen und Reparaturen teuer werden können.
- Bei Miete einer Wohnung in Großstädten, vor allem in Vancouver, muss auf ungewünschte Untermieter wie Nager und Insekten geachtet werden. Am besten gleich bei der Wohnungsbesichtigung alle möglichen Sorgen ansprechen und nachfragen. Falls doch Bettwanzen wie in meinem Fall zum Problem werden, ist zumeist der sogenannte Landlord in der Pflicht zu handeln.
- Wenn Ihr eine Weile gearbeitet habt, ist es auf jeden Fall sinnvoll im Frühjahr des Folgejahres eine Steuererklärung zu machen. Dafür bekommt man von allen Arbeitgebern eine Steuerauflistung. Wer wie ich sich nicht den Stress machen möchte sich durch das kanadische Steuersystem zurechtzufinden, kann zu Volunteers gehen, die die gesamte Steuererklärung mit einem zusammen durchgehen. Alle Formulare mitnehmen und sich umhören, ob im jeweiligen Ort ein solcher Service beispielsweise im Community Centre angeboten wird.
- Durch den extremen kanadischen Winter ist es von Vorteil sich für die kalte Zeit des Jahres einen Job zu suchen und in den Sommermonaten umherzureisen. Das Autofahren kann durch Schneestürme und vereisten Straßen im Winter zu erschwerten Bedingungen führen und bei Sonnenschein ist es sowieso viel schöner wandern zu gehen. Die meisten Skigebiete suchen sowieso Saisonarbeiter.
- Ganz egal ob Ihr vorhabt euer Work and Travel-Abenteuer in Kanada oder irgendwo anders auf dieser Welt zu starten, gebe ich Euch einen letzten Tipp mit auf den Weg, den ich in der Zeit gelernt habe: Es kommt eh anders als man es plant und Pläne sind sowieso nur da, um sie zu ändern. Spontanität ist alles.
Für ausführlichere Reiseberichte könnt ihr gerne in meinen Blog reinschauen, in dem Erlebnisse aus Kanada von mir und Erfahrungen aus Neuseeland von einer Freundin geschildert werden:
looking-for-the-world.blogspot.de
Jenny